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Der "Telenovela-Streit" in Mexiko

veröffentlicht in den "Lateinamerika-Nachrichten", Dezember 1993

 

Die Telenovela ist in Lateinamerika nicht nur eines der am meist gesehenen Fernsehprogramme, sondern sie ist auch häufig Gegenstand der alltäglichen, privaten und öffentlichen Gespräche. Am Beispiel Mexiko wird im folgenden beschrieben, welche Argumente für und gegen Telenovelas vielfach in den Diskussionen die Einstellungen zu diesem "Fernseh-Phänomen" prägen.

 

Märchen ohne Konkurrenz

In Mexiko produziert der Medienriese Televisa (bzw. sein Vorläufer "Telesistema Mexicano") seit Ende der fünfziger Jahre Telenovelas und verkauft sie seit Anfang der sechziger auch in die übrigen Länder Lateinamerikas und in den USA. Televisa konnte durch aggressive Strategien die Medienkonkurrenz in Mexiko ausschalten oder zur Bedeutungslosigkeit bringen und hat eine Quasi-Monopolstellung. Aus dieser Position heraus konnte die Unternehmensleitung krasse Zensurmaßnahmen vornehmen, die im Unternehmen Beschäftigten unter hohen Druck setzen und die Programme strikt nach den Interessen der Unternehmensleitung gestalten. Diese Unternehmenspolitik rief in Mexiko viele KritikerInnen des Fernsehens und seiner Programme auf den Plan.

Anders als in Brasilien hielten sich die professionellen Kulturschaffenden, wie AutorInnen, RegisseurInnen und SchauspielerInnen jahrzehntelang vom kommerziellen Fernsehkonzern fern, da es als "imageschädigend" galt, bei Televisa zu arbeiten. Erst seit den achtziger Jahren, als die Arbeitsmöglichkeiten für KünstlerInnen in Mexiko immer schlechter wurden, gingen mehr und mehr SchauspielerInnen, aber auch einige AutorInnen und RegisseurInnen zu Televisa. Dadurch gab es über viele Jahre hinweg gar nicht erst den Versuch, in Programmen wie den Telenovelas anspruchsvolle Innovationen vorzunehmen. Dies führte zusammen mit dem rein kommerziellen Gewinnstreben Televisas dazu, dass die mexikanischen Telenovelas bis in die achtziger Jahre "immer die gleichen "rosaroten Märchen" blieben.

Linke Kritik seit den siebziger Jahren

Die Kritik an Televisa und seinen "rosaroten Märchen" hatte eine Ursache in den hier geschilderten inneren Zusammenhängen und wurde zusätzlich durch den Diskussionskontext der siebziger Jahre geprägt. In ganz Lateinamerika wurden die Massenmedien als Agenten des Kulturimperialismus gebrandmarkt, welche die kulturelle Autonomie der lateinamerikanischen Völker durch fremde kulturelle Werte zerstören wollten. Daneben wurde in Anlehnung an einige Vertreter der Kritischen Theorie deren negative Bewertung der Massenmedien übernommen. Demnach prägten die Medien zum einen den schlechten Geschmack und entfremdeten zum anderen das Bewusstsein der Menschen.

Die Telenovela galt als Prototyp für die hier genannten negativen Charakteristika der Massenmedien. Die Tatsache, dass diese so wie die ihr nahe stehenden Radio- und Fotonovelas ein Massenpublikum ansprechen und in ihren Bann ziehen konnten, wurde als Maß für den Grad der Entfremdung genommen, der das Publikum bereits unterlegen war. Ideologiekritische Produktanalysen wurden vorgenommen und die Mechanismen der Bewusstseins-Entfremdung hervorgehoben. Zwar gab es Ansätze, in denen kritisches Bewusstsein über neue Wege geschaffen werden sollte, doch propagieren viele der KritikerInnen der Massenmedien bis heute als Alternative, die "schlechten" (als zu konservativ, zu fern, zu konsumistisch oder zu liberal bezeichneten) Inhalte durch "gute" zu ersetzen unter Beibehaltung derselben Art der Beeinflussung - neuer Wein in alten Schläuchen.

Imagepflege Televisas

In Mexiko fanden die kritischen Positionen so große Verbreitung, dass Televisa darauf mit verschiedenen Maßnahmen reagierte. Seit den siebziger Jahren wurden einige Telenovelas produziert, die sich um Ereignisse der mexikanischen Geschichte rankten oder "unterweisende" Inhalte trugen, wie die Aufforderung, an Alphabetisierungsmaßnahmen teilzunehmen oder Verhütungsmittel zu benutzen. (Gleichzeitig konnten mit diesen Inhalten gewinnträchtige Geschäfte gemacht werden. Für die Propagierung regierungsfreundlicher Geschichtsschreibung und die Unterstützung der Bevölkerungspolitik erließen die jeweiligen Regierungen Steuern und Gebühren.) Insgesamt überschritten diese Geschichten nicht die Anzahl von zwanzig, doch wird Televisa bis heute nicht müde, sie immer wieder herauszustreichen.

Neben der Produktion von explizit als "bildend" bezeichneten Telenovelas ging Televisa zunehmend dazu über, die schon immer präsentierten Inhalte als "gute Botschaften" zu charakterisieren. Das Publikum könne gute Sitten kopieren, wie z.B. das Waschen der Hände vor dem Essen. Schlechte Gewohnheiten, wie Alkohol- und Drogengenuss, würden in der Telenovela bestraft und hätten daher abschreckende Wirkung. Das Zur-Schaustellen von luxuriösen Konsumartikeln würde in den armen Menschen nicht den Wunsch wecken, eben solche zu begehren, weil sie mit ihren traditionellen Lebensformen zufrieden seien.

Gleichzeitig betonte Televisa immer wieder, dass die Telenovelas nur zur Unterhaltung seien und das Publikum dem Fernsehen lange nicht so stark ausgesetzt sei, wie z.B. einem Film im dunklen Kinosaal. Seit Anfang der neunziger Jahre strahlte der Fernsehsender außerdem Spots aus, in denen das Telenovela-Schauen in scherzhafter Form als aufregendes Ereignis in allen Lebensbereichen dargestellt wird. Außerdem wurde seit Ende der achtziger Jahre immer wieder die hohe Qualifikation der in Televisa Arbeitenden und die gute Qualität der Telenovelas beteuert.

Telenovelas entfremden die Frauen

Zwischen den Fronten der Telenovela-KritikerInnen, die überwiegend aus intellektuellen Kreisen stammten, und der Verteidigung Televisas verbreitete sich die Diskussion um die Telenovela in den Auseinandersetzungen der Volksmassen. Die Argumente für und wider die Telenovela wurden "popularisiert". Aus dem Argument der kulturellen Homogenisierung wurde in Mexiko z.B. der konservative Vorwurf, dass die traditionellen mexikanischen Sitten ausgehöhlt würden, wie z.B. die Priorität der Familie. Dies galt unter anderem als Kritik an den Frauen, welche durch die Telenovela-Inhalte motiviert würden, die Autorität des Mannes in Frage zu stellen.

Einer der in Mexiko am häufigsten benutzten Wörter zur Kritik an den Telenovelas ist der Begriff der Entfremdung. Darunter wird in den meisten Fällen eine zeitliche Fremdbestimmung verstanden. Es heißt z.B., die Frauen kümmerten sich nicht genug um Mann und Kinder, weil sie an die Telenovelas gefesselt seien. Dies führe unter anderem zur Verwahrlosung der Kinder. Darüber hinaus kämen ZuschauerInnen nicht mehr in kirchliche und soziale Einrichtungen, weil sie lieber vorm Fernseher blieben. Anstelle des Fernsehkonsums sei das Lesen eines guten Buches, die Beschäftigung mit den Kindern usw. vorzuziehen. Die inhaltliche Interpretation des Entfremdungsbegriffes richtet sich darauf, dass vor allem Jugendliche und Kinder durch Telenovelas zu Delinquenz, Drogensucht und sexuellen Ausschweifungen verleitet würden.

Die harsche Kritik an den Telenovelas wurde vor allem von den Männern gegenüber den Frauen geübt. Besonders für Männer galt es als peinlich, Telenovelas gut zu finden. Seit Anfang der achtziger Jahre versuchte Televisa daher, deren Aufmerksamkeit zu gewinnen durch die Hinzufügung von mehr Aktions- und Krimimomenten und durch Erotisierung und Sexualisierung der Liebesbeziehungen.

Die Geringschätzung eines Fernsehgenres, das zunächst vorwiegend Frauen anzog, ist keine auf Mexiko beschränkte, sondern ist ebenso in den USA und anderen Ländern gegenüber den Fernsehserien und anderen, vor allem bei Frauen populären, Medien zu finden.

Niemand schaut Telenovelas

Die Telenovela-Fans mussten angesichts der harschen Kritik an ihrem Fernsehverhalten auf die Angriffe reagieren. Glaubt mensch den Äußerungen, die in Mexiko über den eigenen Telenovela-Konsum gemacht werden, scheint es oft, als würde kaum jemand dieses Programm schauen. Andere ZuschauerInnen greifen die Argumente Televisas auf und betonen, sie würden die Serien nur zur reinen Unterhaltung und Zerstreuung und nur für ein Weilchen anschauen, wenn sie ohnehin nichts anderes zu tun hätten. Wieder andere beteuern, sie selber, ihre Kinder oder ihre Eltern würden eine Menge Gutes von den Telenovelas lernen. Sie könnten sich z.B. motivieren lassen, gute Beispiele an sozialen Umgangsweisen oder Konfliktverarbeitungen zu übernehmen. Gleichzeitig betonen die ZuschauerInnen jedoch, dass sie nicht von den Telenovelas beeinflusst würden. Schließlich wird das Argument wiedergegeben, die mexikanischen Telenovelas seien von hoher Qualität, welche ihren Konsum rechtfertige.

Anpassung und Subversion

Die hier skizzierte Art der Auseinandersetzung mit Telenovelas ist bis heute in Mexiko häufig anzutreffen, befindet sich allerdings seit den achtziger Jahren in einem Prozess der Veränderung. Zum einen führte das verstärkte Aufgreifen der Lebensrealität ärmerer Bevölkerungsschichten und Jugendlicher in der Telenovela dazu, dass neue Publikumsgruppen hinzugewonnen und deren Akzeptanz erhöht werden konnte. Zum anderen ist international eine Umbewertung in den Urteilen über Fernsehserien und populäre Geschmäcker festzustellen. Es wird stärker aus der Sicht der Einzelnen über deren Umgangsweisen mit populären Genres im jeweiligen alltagsweltlichen Kontext nachgedacht. In den USA gibt es darüber hinaus zahlreiche Annäherungen an die Frage, welche Bedeutung die Fernsehserien gerade für Frauen haben.

In Lateinamerika führte die Auseinandersetzung mit den sozialen Bewegungen jenseits der traditionellen Formen von kritischen Aktionsformen dazu, dass auch im Bereich der "cultura popular" ein Umdenken stattfand. Populäre Lebensstile werden nicht mehr nur als durch äußere Mächte bestimmte interpretiert, sondern als die jeweiligen Aneignungsformen des Vorgegebenen zwischen äußeren Zwängen und eigenen Bedürfnissen und Wünschen. Dadurch sei es nach Meinung des Mexikaners García Canclini ganz und gar nicht zu einer Homogenisierung der verschiedenen lateinamerikanischen Kulturen gekommen, sondern es gäbe eine Vielheit von traditionellen und modernen Lebensformen und -stilen, die nebeneinander ständen. Somit sei Lateinamerika in die Postmoderne eingetreten, ohne die Moderne voll entwickelt zu haben.

Sowohl bei den spezifisch weiblichen Umgangsformen mit Fernsehserien, als auch bei den populären Herangehensweisen an Massenkultur wird eine neue Position vertreten. Danach übernehmen die Einzelnen zum Teil die von außen an sie herangetragenen Weltbilder. Auf der anderen Seite ist die eigene Alltagsrealität jedoch so bestimmend für sie, dass Fernseh-Inhalte, die nicht mit den eigenen Werturteilen übereinstimmen, ignoriert werden. In Anlehnung an den Nutzenansatz in der Medienwirkungsforschung fragen seit Mitte der achtziger Jahre viele ForscherInnen in Lateinamerika danach, "was das Publikum mit den Medien macht". Die Tatsache, dass die Fernsehproduzenten auf eine massenhafte Akzeptanz ihrer Produkte angewiesen sind, führe außerdem dazu, dass die Lebensrealität der Massen in den Telenovelas aufgegriffen und damit widergespiegelt und sichtbar gemacht würde. In diesem Zusammenhang findet der in den letzten Jahren in Lateinamerika häufig aufgegriffene Begriff der "Mediación" von Martín Barbero aus Kolumbien seine Anwendung: die Telenovela ist Vermittlung. Sie ist der Ort, an dem sich Produktion und Rezeption, Rentabilität und kulturelle Heterogenität treffen und an dem diese verständlich werden.

Eine weitere Veränderung, die vor allem aus den feministischen Arbeiten über Soap Operas im englischsprachigen Raum motiviert wurde, besteht darin, nun davon auszugehen, dass trotz der scheinbar eindeutigen Botschaften in den Fernsehserien Mehrdeutigkeiten aus deren Texten herausgelesen werden können. Ein weiterer Impuls kommt aus Brasilien, wo die Zurückdrängung US-amerikanischer Programme durch die Expansion von nationaler Fernsehproduktion und der weltweite Export der Telenovelas hervorgehoben wird. Die Schwellenländer seien in die Lage gekommen, dem US-Kulturimperialismus etwas entgegenzusetzen.

Die Diskussion über Telenovelas im besonderen und Massenmedien im allgemeinen verläuft nicht in allen Ländern Lateinamerikas gleich, sondern bewegt sich mit unterschiedlicher Gewichtung der hier skizzierten Positionen zwischen Ablehnung, dem Feiern der Telenovela als Spiegel gesellschaftlicher Realität und der Betonung der Ambivalenzen im Umgang damit. Während z.B. die Akzeptanz der Telenovelas in Brasilien in den letzten Jahren erheblich zunahm, gibt es in Mexiko weiterhin sehr viel Skepsis ihr gegenüber. Überall bleibt die Diskussion über sie jedoch in Bewegung.